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FETT

Sylvia Schultes


Ausstellung vom 22. Oktober - 16. November 2008
Slam Texte: Johanna Wack

Einführung: Dr. Belinda Grace Gardner (Auszüge)

(...) Die stets neue Formen hervorbringende Schneeflocke erinnert an Blüten, Sterne und Gesteinsformationen oder auch an die sich wandelnden Ansichten in einem Kaleidoskop. Vielleicht fallen einem deshalb beim Anblick von Sylvia Schultes’ neuer Serie von Scherenschnitten auch Schneeflocken ein. Inspiriert von den filigranen Pflanzen-, Blumen- und Tiergeschöpfen, die der bekannte deutsche Romantiker Philipp Otto Runge mit der Schere aus Papier schuf, lassen Sylvia Schultes’ zarte florale Motive an die Vieldeutigkeit der Schneekristalle denken, die – ebenso wie Farngewächse – ein Motiv, das, wie wir sehen, in der Ausstellung ebenfalls sehr anmutig zum Tragen kommt – das fraktale Prinzip der Selbstähnlichkeit verkörpern. (...)

Im Kern ihres künstlerischen Ansatzes steht die Erforschung der Muster, die den Phänomenen unserer Wirklichkeit – vom organischen Terrain der Natur bis zum künstlich geschaffenen der Kultur - als Struktur gebende Elemente innewohnen. Das Ornament ist das ästhetische Leitmotiv in Sylvia Schultes’ Arbeit.

Wir finden es in Gestalt mehrspuriger Raster, vielzackiger Sterne oder schimmernder Kugelreihungen, die die Künstlerin in ihren gemalten Bildräumen zu dynamischen Verflechtungen verdichtet. Beim Betrachten ihrer seriell angelegten Tableaus eröffnen sich stets neue visuelle Ebenen, die ins Bodenlose und über die Bildgrenzen hinaus - und damit immer wieder in bisher unbekannte Dimensionen führen.
Sylvia Schultes’ Kompositionen deuten als potenziell grenzenlose Systeme prinzipiell auf übergeordnete Zusammenhänge. Ihre von geometrischen Figuren-Konstellationen bestimmte Malerei ist in diesem Sinne keine rein formale Untersuchung der Frage, beispielsweise, wie sich Linien im Raum zueinander verhalten. Es ist im Grunde auch keine „abstrakte“ Malerei im engeren Sinne, auch wenn sich die Künstlerin einer abstrakten Bildsprache bedient. (...)

In den Gemälden, die Sylvia Schultes hier nun in der Ausstellung präsentiert, eröffnet sie ein multidimensionales Referenznetzwerk, das von Aspekten der Quantentheorie und Elemantarteilchenphysik bis hin zum Verfahren grafischer Größen- oder Maßstabsänderung reicht. In einer von Grün-, Rot- und Braun-Tönen bestimmten, geradezu „pflanzlichen“ Farbskala gehalten und von einem Wechsel zwischen Rauten-, Stern- und angedeuteten Kreisformen bestimmt, offenbaren diese Arbeiten der Künstlerin – allesamt aus dem Jahr 2008 - bei genauem Hinsehen leichte Verzerrungen – bewusst eingearbeitete „Schönheitsfehler“, die bei Größen- oder Maßstabsänderung auftreten könnten. Als Kompositionselement eingesetzt, bringen diese Verziehungen die Bildräume optisch zum kippen und nehmen zugleich Verbindung zum Außenraum auf, durch den wir, die Betrachterinnen und Betrachter, uns bewegen - damit auch die innere Dynamik der Bilder immer wieder neu freisetzend.
Seit einigen Jahren stellt Sylvia Schultes ihre Malerei zunehmend in einen Dialog mit ihren fotografischen Arbeiten, wobei letztere auch als eigenständige Bildgruppen fungieren. Der auf ornamentale Figuren und Stilisierungen konzentrierte Blick der Künstlerin findet die Motive im städtischen Umfeld von Hamburg, Dresden, Kassel oder Shanghai, in historischen Artefakten und beiläufigen Gegenständen des Alltags, in der Natur, am Meeressaum, in einer Wolkenformation, in einem blühenden Park – oder eben, wie hier, beim Anblick von leuchtenden Mohnblüten oder grazilen Farnen, die – um die Künstlerin zu zitieren – mit ihrem „Licht-Schauspiel und Rhythmus“ die Grenzen zwischen Fotografie und Malerei aufheben.
Durch die Ausschnitte, die die Künstlerin wählt, werden die naturgegebenen Verhaltens-Muster – jene Ornamente des Daseins – kreatürlicher Existenz sichtbar. Im Zusammenspiel zwischen Malerei, Fotografie – nunmehr auch Scherenschnitten und Film - und der gezielten Nebeneinanderstellung von Motiven, die sich gleichen oder gegenseitig kommentieren, werden die Formen, Farben, Muster - jene Ornamente – ästhetisch greifbar gemacht, die den Realitätserscheinungen als inne wohnendes Prinzip zugrunde liegen.
Sylvia Schultes begibt sich in ihrer Kunst auf die Suche „nach den Grundsystemen, den Grundformen oder –mustern, die die Welt zusammenhalten“, um einen Gedanken des Biophysikers und Philosophen Bernd-Olaf Küppers zu zitieren. Selbst die Bewegung des Windes, die die Tulpen hier im Film der Künstlerin zum Tanzen bringt, wiederholt sich in der Bewegung der Hände, die die Kamera führen. (...)

Dr. Belinda Grace Gardner

Biografie
1954

geboren in Kiel

1976/77

Theatermalerin an den Städtischen Bühnen Bielefeld

1977/78

Fondation Karolyi, Vence, Frankreich

1978/79

École National d’Art Superieure (Villa Arson), Nice, Frankreich

1979-87

Hochschule für Bildende Künste, Hamburg

  • s.schultes@frise.de